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Post by Andrea Seip-HerbigBin absoluter Neuling hier im Forum und hätte eine
Frage zur Kinesiologie.
ich hoffe, diese Kopie eines Textes hilft weiter. Wenn nicht, dann
bleibt es Ihnen natürlich unbenommen, sich anstelle vernünftiger
Therapieverfahren, die es auch bei der Neurodermitis gibt, die
jedoch Kassenpatienten in der aktuellen Sparorgie seitens der
Versorgungssysteme aus rein finanziellen Gründen gezielt vor-
enthalten werden, fragwürdigen Methoden hinzugeben. Es ist
schließlich ihr Geldbeutel.....
Steve
----- Kopie ------
Kinesiologie
Die Health-Kinesiologie, wie sie von J. Scott in den USA in den 1960iger Jahren
entwickelt worden ist, gehört zu den unkonventionellen alternativmedizinischen
Diagnoseverfahren.
Die Methode ist zur Zeit vor allem bei niedergelassenen Ärzten und
Heilpraktikern weit verbreitet und ihr Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz ist
im Steigen begriffen.
Verwirrung durch Namensgleichheit
Die Bezeichnung Kinesiologie ist verwirrend, denn auch in der Hochschulmedizin
nimmt die Kinesiologie (engl. Kinesiology), als Bewegungstherapie u.a. im
sportmedizinischen Bereich einen breiten Raum ein. Man versteht darunter
gymnastische Übungen, Leistungstests für ausgewählte Muskelgruppen oder
allgemeine Funktionstests zur körperlichen Leistungsfähigkeit. Der
hochschulmedizinische Begriff der Kinesiologie hat jedoch mit der
alternativmedizinischen Health-Kinesiologie oder der in esoterischen Kreisen
einfach als Kinesiologie bezeichneten Pseudo-Diagnostik nichts zu tun.
Der Sinn der Kinesiologie
Der gesamte Körper soll im Hinblick auf seine Reaktion auf eine Substanz durch
die Beurteilung der Haltekraft eines als Indikator wirkenden Muskels beurteilt
werden. Da diese Methode eine nicht-invasive und wenig belastende
Untersuchungsform ist, wird sie häufig auch bei Kindern angewendet. Obgleich
die Methode verbreitet ist, haben sich nur wenige unabhängige Untersuchungen
mit ihr befasst.
Klinische Überprüfungen zeigen Wirkungslosigkeit der Methode
Im Rahmen einer ausführlichen Studie zur diagnostischen Wertigkeit der
Health-Kinesiologie nach Scott klärte die Hautklinik der Hamburger
Universitätsklinik Eppendorf die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Methode bei
Patienten mit allergischen Erkrankungen.
Von September 1993 bis August 1994 wurden 42 Testpersonenen mit gesicherter
Wespen- oder Bienengift-Allergie (gesichert durch Prick- u. Rast-Test) vor dem
Beginn einer Hyposensibilisierungsbehandlung auf folgende Allergene getestet:
Acetylsalicylsäure, Hausstaubmilbe, Katzenhaare, Laktose, Graspollen, Wespen-
und Bienengift, Candida albicans. Als Kontrollsubstanzen wurden Histamin
(erzeugt stets eine Reaktion) und Kochsalz (erzeugt keine allergische Reaktion)
mitgeprüft. Die mittels Prick- und Rast-Test durchgeführten Allergie-Tests
wurden von zwei Assistenzärzten der Hautklinik Hamburg vorgenomen, so dass zwei
unabhängige Befunde vorlagen.
Beide Assistenzärzte führten auch die kinesiologische Untersuchung durch, wobei
sie beide unter der Qualitätskontrolle von zwei externen, seit Jahren
kinesiologisch tätigen Ärzten standen. Der erste Assistenzarzt hatte bereits
vor Untersuchungsbeginn eine Grundausbildung (Touch for Health) sowie einen
Aufbaukurs (Health Kinesiologie) durchlaufen, der von J. Scott selbst geleitet
worden war. Der zweite Assistenzarzt wurde vor Beginn der Studie in die
Methodik eingewiesen. Die kinesiologischen Tests wurden nach dem Verfahren von
Jimmy Scott (Health Kinesiologie) durchgeführt. Die Testung erfolgte im Stehen
am Musculus deltoideus anterior. Dabei versuchte der Tester, den Arm der
Testperson herabzudrücken, während die Testperson versuchte, den Arm in der
Ausgangsposition zu halten, ohne selbst Gegendruck auszuüben. Durch diesen Test
wurde der Bewegungsablauf trainiert. Um festzustellen, ob der Indikatormuskel
erwartungsgemäß reagierte, wurden die Testpersonen aufgefordert, dies mit JA
(starke Reaktion) oder NEIN (schwache Reaktion) zu bewerten. Die weitere
Testung wurde im Liegen durchgeführt. Zunächst erfolgte eine Überprüfung der
Meridianbalance anhand der um den Nabel angeordneten Testpunkte für die
Meridianpaare. Der Korrekturmodus für schwache Elemente wurde nach der Methode
von Scott festgelegt. Begonnen wurde in solchen Fällen mit der Austestung der
neurovaskulären Punkte. Bei einer starken Reaktion folgte die Testung der
Meridian- Endpunkte und in der Folge die der neurolymphatischen Punkte und die
der Sedierungspunkte. Schwach testende Punkte wurden entsprechend korrigiert.
Zum Abschluss der Vortestungen wurden eine Nabel-Balance (Hand der Testperson
wird über den Bauchnabel, d.h. sämtliche Meridianpaare gelegt) vorgenommen.
Dann erfolgte die Testung des Indikatormuskels. Anschließend wurde die Testung
des Allergietestpunktes (kleine Knochengrube vor dem Ohr, die die Testperson
selbst während des Tests komprimiert halten muss) durchgeführt.
Für die anschliessende Testung wurden die Allergene in kleine Glasfläschen
verpackt und dem Tester in einer kleinen Pappschachtel gereicht. Alle
Glasröhrchen waren gleich schwer. Die Reihenfolge der Allergene und der
getesteten Allergene war für den Tester und die Testperson unbekannt, da die
Pappschachtel undurchsichtig war. Die Pappschachtel wurde vom Tester unterhalb
des Bauchnabels der Testperson auf die sog. Substanztestzone aufgelegt und der
Indikatormuskel erneut geprüft. Eine Unsicherheit im Halten des Armes oder das
widerstandslose Nachgeben des Armes unter Druck wurde als schwache Reaktion
bewertet. Das stabile Halten des Armes in der Ausgangsposition wurde als starke
Reaktion bewertet. Die schwache Reaktion steht im kinesiologischen Testsystem
nach Scott für eine Allergie gegenüber der Testsubstanz.
Um die später folgenden Ergebnisse zu verstehen, müssen die Begriffe
Sensitivität und Spezifität erläutert werden.
Unter Sensitivität (=Empfindlichkeit) eines Verfahrens versteht man die
Häufigkeit des Eintretens eines positiven Testergebnisses. Weisst ein
Allergietest bei der Testung von Bienengift-Allergen z.B. eine Sensitivität von
100% auf, so zeigte jeder dieser Tests eine allergische Reaktion auf das
Bienengift-Allergen. Ist die Genauigkeit eines alternativmedizinischen
Testverfahrens ebenso groß wie jene eines schulmedizinischen Verfahrens, so
entspricht seine Sensivitität 100%. Es erkennt also genauso häufig den gleichen
Befund wie das schulmedizinische Verfahren. Ist der Wert kleiner, erkennt die
Kinesiologie weniger.
Die Spezifität sagt aus, wie häufig das Testverfahren bei einem gesunden
Patienten eine fehlende Reaktion richtig erkennt. Hier sollte die Spezifität
ebenfalls 100% betragen. Liegt sie niedriger, erkennt das Verfahren
fälschlicherweise einen nicht vorhandenen Befund. So kann ein Patient
Bienenstichallergiker sein und gleichzeitig nicht auf Candida albicans
reagieren. Wenn eine Methode nun eine Sensitivität von 100% und Spezifität von
100% aufweist, wird das Bienenstichallergen sicher gefunden (Sensitivität), und
auch das Fehlen einer Reaktion auf Candica albicans-Allergen wird richtig
erkannt (Spezifität).
Die Ärztegruppe der Hamburger Hautklinik fanden im Vergleich zur
Prick-/Rast-Allergietestung bei Bienen- und Wespengift für die Kinesiologie
eine Sensitivität von 44% und eine Spezifität von 70%. Die Kinesiologie
erkannte also nur 44% derjenigen Patienten, die eine Bienen- bzw.
Wespengiftallergie hatten (Sensitivität) und nur bei 70% der Untersuchungen
konnte die Kinesiologie richtigerweise das Fehlen einer entsprechenden Allergie
feststellen. Für alle anderen Allergene wurde von den Autoren der sog. Cohens-
Cappa-Wert angegeben. Dies ist eine Zahl, die die Stärke der Übereinstimmung
von Messergebnissen beschreibt. Sie schwankt zwischen Null und Eins. Dabei
bedeutet 0 keinerlei und 1 eine perfekte Übereinstimmung zwischen den
alternativ- und schulmedizinischen Untersuchungsverfahren.
Als Untersuchungsmethoden waren der schulmedizinische Prick-/Rast- Test auf der
einen Seite und die Health-Kinesiologie auf der anderen Seite zu vergleichen.
Der Zusammenhang von Kinesiologie und schulmedizinischen Testergebnissen war
sehr gering, zum Teil fast nicht vorhanden.
Um die Reproduzierbarkeit der Kinesiologie zu untersuchen, wurde im Januar 1995
in der Hautklinik bei fünf Wespengiftallergikern (gesichert mit
Prick-/Rast-Test) vor einer Hyposensibilisierungsbehandlung erneut eine
mehrfache kinesiologische Untersuchung vorgenommen.
Ein externer, erfahrener niedergelassener Kinesiologe führte eine 20fache
Testwiederholung durch. 10 mal testete der Arzt mit Wespengift, 10 mal nur mit
Kochsalzlösung. Auch hier waren die Proben für diesen Arzt unkenntlich
(verpackt, gleich schwer), so dass weder Proband noch Kinesiologe wussten, ob
gerade Allergen oder Placebo getestet wurde. Bei den Wespengift-Proben
erreichte der Kinesiologe eine übereinstimmende Diagnose in nur 24%, jedoch
immerhin 68% bei den Kochsalztestungen. Ein im Parallelversuch ebenfalls
kinesiologisch diagnostizierender Arzt, der das Verfahren im Schnelldurchlauf
von zwei Ärztinnen demonstriert bekam, die selbst nur einen Standardkurs in
Kinesiologie erhalten hatten, brachte es immerhin beim Wespengift und beim
Kochsalz auf eine Reproduzierbarkeitsrate von 61%. Da die Ärzte der Hamburger
Hautklinik trotz der separaten Auftrennung von Patienten mit Candica albicans
bzw. Patienten ohne Cancida albicans keinen Unterschied in der
Reproduzierbarkeit der Messungen finden konnten, konnte das Argument der
Kinesiologen, dass eine ordnungsgemäße kinesiologische Testung bei Candica
albicans-Befall nicht möglich sei, als faktisch wiederlegt angesehen werden.
Die Kinesiologie ist unbrauchbar
Die Hamburger Hautärzte stellten fest: Aus unserer Sicht besteht daher derzeit
kein wissenschaftlich begründbarer Anhaltspunkt dafür, die Kinesiologie in der
Allergiediagnostik einzusetzen.
Eltern, die ihre Kinder Health-Kinesiologen oder analogen Kinesiologen zur
Diagnostik überlassen, gehen ein hohes Risiko ein, wenn aus dieser
unbrauchbaren Wundermethode therapeutisch relevante Folgen resultieren sollen.
Es besteht dann die Gefahr der Fehldiagnose und Falschbehandlung. In jedem Fall
geht man das Risiko ein, dass das Kind/der Patient verzögert zu einer wirklich
wirksamen therapeutischen Einrichtung gelangt. Vor allem in
Heilpraktikerkreisen wird die Kinesiologie als sicher propagiert. Man sollte
die Praxen von Therapeuten, die diese Methode anbieten, sofort verlassen.
Es gibt im übrigen noch weitere Abwandlungen der Kinesiologie, die vom
amerikanischen Chiropraktiker George Goodheart ebenfalls in den 1960iger Jahren
entwickelt wurde. Dabei wird auf das aus der chinesischen
Mythologie/Gesundheitslehre stammende Chi oder Ki abgezielt - ein
geheimnisvoller Energiefluss im menschlichen Körper, der in Wirklichkeit nicht
existiert und religös-magischen Ursprungs ist. Der Patient wird dadurch
geprüft, dass dieser einen Arm im rechten Winkel von Körper zur Seite
ausstreckt. Der Kinesiologe legt seine eigene Hand auf das Handgelenk des
ausgestreckten Arms des Patienten und drückt nun den Arm gegen den Widerstand
des Patienten nach unten. Der Energiefluss ist dann in Ordnung, wenn der
Patient dem Druck des Therapeuten widersteht. Da dieses Phänomen aber von der
Aufmerksamkeit des Patienten abhängt und somit vom Therapeuten sehr leicht
beeinflusst werden kann, kann auf diese Weise dem unbedarften Patienten eine
Scheinerkrankung angedichtet werden, die in der Realität nicht existiert.
Quellenverzeichnis
Lüdtke R, Seeber N, Kunz B, Ring J: Kinesiologie in der Allergiediagnostik. in:
Jahrbuch der Karl und Veronica Carstens-Stiftung, Band 2, Hippokrates Verlag,
Stuttgart, 1995, 54-64